29 Flüchtlinge beherbergt der Linzer Pfarrer Franz Zeiger in seinen Pfarren St. Peter und St. Michael. Im landeshauptblatt.at-Talk berichtet Zeiger aus erster Hand über das Zusammenleben mit den großteils aus Syrien stammenden Menschen.
Pfarrer Franz Zeiger: Wie viele Flüchtlinge betreuen Sie aktuell in Ihren Pfarren?
In der Pfarre St. Michael sind es 19 Personen: zwei Familien, weiters neun Männer sowie zwei Frauen. In der Pfarre St. Peter sind es zehn Männer.
Ergeben sich auch öfters persönliche Gespräche?
Anfänglich gab’s natürlich die sprachliche Barriere. Aber das Vertrauen wuchs schnell. Mittlerweile kommunizieren wir schon ganz gut. Oft sind auch sehr tiefgehende Gespräche darunter.
Manche Gruppen kritisieren, dass fast nur Männer zu uns als Flüchtlinge kommen. Täuscht dieser Eindruck?
Auf den ersten Blick stimmt das natürlich. Die Feststellung, dass gerade junge, kräftige und erwerbsfähige Männer hier bei uns sind, ist berechtigt.
Und warum ist das so?
Gerade junge Männer sind diejenigen, die zuhause verfolgt werden, weil sie vom menschenverachtenden, gewaltbereiten Regime zwangsweise zum Wehrdienst und zum Krieg eingezogen werden – oder von anderen Gruppen gewzungen werden, für sie zu kämpfen. Ich denke, wenn man sich dessen bewusst ist, wird die Sache verständlich. Es ist eine traurige Tatsache: Fast jeder unserer Flüchtlinge hat mindestens zwei oder drei seiner Familienmitglieder verloren – fast durchgehend ist der Vater bereits getötet worden, gefolgt vom Bruder, Onkel und so weiter.
Sprechen die Menschen auch über ihre Erlebnisse?
Einer unserer Asylwerber hat ein kurzes Handyvideo gezeigt, wo Männer seines Dorfes von militanten Gruppierungen der Reihe nach hingerichtet wurden, da sie sich geweigert hatten, für sie zu kämpfen. Da sie wehrfähig sind, wollten die militanten Machthaber sie zum Kriegsdienst zwingen. Bei Verweigerung droht ihnen die sofortige Todesstrafe. Viele sind also geflüchtet, weil sie nicht in einem sinnlosen Krieg kämpfen und sterben wollten.
Wie kamen Ihre Asylwerber nach Österreich?
Natürlich ist keiner unserer Bewohner per Zug oder im Reisebus zu uns gekommen. Ihre Flucht geschah spontan und aus Verzweiflung. Die meisten sind zu Fuß etwa 20 bis 25 Tage unterwegs gewesen – dementsprechend haben auch ihre Füße ausgesehen, ganz offen und wund. Eine unglaubliche Strapaze, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegt.
Was gefällt den Menschen bei uns am meisten?
Es sind die für uns selbstverständlichen Kleinigkeiten: Zuallererst die Freiheit, sich bewegen zu können, ohne verfolgt zu werden, oder Angst um das nackte Leben zu haben. Dann die Möglichkeit, offen zu sprechen, ohne belauscht und dann bedroht zu werden – kurz: Einfach das Gefühl, wieder Mensch sein zu dürfen.
Und gibt es auch Dinge, wovor die Flüchtlinge jetzt noch Angst haben?
Die Unsicherheit, bis es zum Asylbescheid kommt. Das Hoffen, Bangen, Warten. Und das Herunsitzen, nichts tun und nicht arbeiten dürfen.
Gab es im Zusammenleben auch schon irgendwelche negativen Erlebnisse?
Wie in anderen Gemeinschaften gibt es natürlich auch hier manchmal Meinungsverschiedenheiten und Spannungen, jedoch nichts Gravierendes. Wenn man sieht, wie alles immer stärker zusammenwächst, man jeden Tag gemeinsam zum Essen zusammenkommt, dann ist das ein starkes Zeichen dafür, dass hier etwas Gutes wächst.
Es werden sicher auch einige Muslime unter “Ihren” Flüchtlingen sein. Gibt es da von irgendeiner Seite Berührungsängste wegen der unterschiedlichen Religionen?
Wir haben unter den Bewohnern im Spallerhofer Pfarrheim nur zwei Christen – Vater und Sohn. Jedoch sind unsere muslimischen Jungs sehr wissbegierig und unserer Kultur gegenüber sehr aufgeschlossen. Sie waren auch schon in unserer Kirche und sind sehr interessiert, was da so abläuft. Spannungen gibt es diesbezüglich keine, ganz im Gegenteil.
Was sind für Sie und Ihr Team die größten Herausforderungen in der Flüchtlingsbetreuung?
Neben der sprachlichen Barriere musste anfangs natürlich erst einmal Vertrauen aufgebaut werden. Die Jungs waren alle traumatisiert, hatten zuhause den sicheren Tod vor Augen und auf ihrer Flucht Demütigungen und Schläge erlitten. Da waren sie natürlich anfangs eher vorsichtig und haben sich gefragt: “Meint man es hier wirklich gut mit uns?” Dadurch war es anfangs mitunter nicht ganz leicht, gezielt und kompetent zu helfen. Mittlerweile liegen die größeren Herausforderungen eher in den persönlichen Gesprächen. Besonders dann, wenn einige der Jungs weinen, weil sie z.B. niemanden zu Hause erreichen, sich Sorgen machen oder eben schlechte Nachrichten von daheim erhalten.
Woran mangelt es noch, dass die Betreuung und der Tagesablauf besser funktionieren könnte?
Nicht nur für uns hier – für die ganze Flüchtlingsproblematik würde ich mir eine faire mediale Berichterstattung wünschen. Ich wünsche mir einen redlichen Journalismus, der den Dingen auf den Grund geht, der auch hinter die Kulissen blickt und die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellt.
Wie ist die Resonanz Ihrer Aktivitäten in der Pfarrgemeinde und in der Bevölkerung?
Sowohl die Akzeptanz als auch die Hilfsbereitschaft sind enorm. Unsere Jungs sind uns mittlerweile sehr ans Herz gewachsen und sie gehören zur Gemeinschaft unserer Pfarre einfach dazu.
Verstehen Sie dennoch die Ängste oder Vorurteile mancher Bürger?
Ja, sehr wohl – wir haben natürlich die mediale Präsenz, die die Problematik in den Vordergrund stellt. Dass es sich hier um eine humanitäre Katastrophe historischen Ausmaßes handelt, ist vielen wahrscheinlich nicht wirklich bewusst. Könnten manche Menschen einmal einige Sequenzen der Handyvideos unserer Jungs sehen, dann wäre ihnen schlagartig vieles klar.
Manche Gruppierungen meinen, dass die Kirche zu wenig tut und diese sowieso genug Geld hätte, die Flüchtlingshilfe abdecken zu können.
Wir haben rein von den Pfarrbudgets nicht die Möglichkeit, hier effizient zu helfen. Die Hilfsbereitschaft unserer Pfarrgemeinde und der gesamten Bevölkerung ist allerdings enorm. Nach einem Hilfsaufruf in der Pfarrgemeinde konnten wir im Nu die notwendige Kleidung, Schuhe und andere Dinge, die man täglich braucht, mühelos besorgen. Unser Projekt zeigt mir, dass rasche und unbürokratische Hilfe sehr wohl möglich ist, wenn viele zusammenhelfen.
Was kann jeder einzelne von uns tun – außer zu spenden?
Einfach mal versuchen, sich in die Lage unserer Jungs zu versetzen. Sich vorzustellen, was es bedeutet, seine nächsten Angehörigen durch den Krieg zu verlieren, von heute auf morgen keine Heimat mehr zu haben, auf der Flucht und letztendlich auf das Wohlwollen fremder Menschen in einem fremden Land angewiesen zu sein.
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