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„Es reicht, zu sagen, dass Ihnen zuhause die Decke auf den Kopf fällt.“

2. November 2020
in Freizeit, Linz
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“Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist” – frei nach diesem Spruch ist für den bekannten Linzer Anwalt Klaus Fuchs die ab morgen geltende Ausgangssperre in vielen Bereichen unklar und lässt einige Lücken offen. Auch vor dem VfGH dürfte die Verordnung nicht halten. Wir haben nachgefragt.

Herr Mag. Fuchs, was sagen Sie zur neuen Ausgangsverordnung/Ausgangssperre?
Die Verordnung ist ein weiteres Beispiel dafür, dass anstatt zielgerichtet gefährdete Personen geschützt werden, wie mit einer Schrotflinte geschossen wird – man erwischt schon ein paar richtige Ziele, verursacht aber viel mehr falsche, unsachliche, undifferenzierte und unverhältnismäßige Regelungen, die in Summe vor dem VfGH nicht halten werden.

Warum sollte das nicht halten?
Durch diese Verordnung wird dermaßen intensiv in viele Grundrechte eingegriffen, dass es schon erschreckend ist – daher ist es aufgrund unserer Rechtsordnung nötig, dass die Regierung diese Grundrechtseingriffe sachlich rechtfertigen kann, sie also die Verhältnismäßigkeit darlegt und auch beweist, dass es keine „gelinderen Mittel“ gibt – das wird aber nur schwer gelingen.

Es ist ausdrücklich gestattet, auch nach 20 Uhr zur „psychischen oder körperlichen Erholung“ hinauszugehen. Aber wie soll man hier den Beweis führen – oder die Polizei den Gegenbeweis, dass diese Gründe vorliegen beziehungsweise nicht vorliegen?
Beweisen muss man gar nichts – die Verordnung spricht von „glaubhaft machen“. Wenn Innenminister Karl Nehammer in der Pressekonferenz sagt, dass man raus kann, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, wäre das wohl eine sehr geeignete Begründung, die die Polizei akzeptieren muss, zumal ihr eigener Chef das als Beispiel genannt hat. Da kann man dann nur hoffen, dass der einschreitende Polizist nicht einen Statiker in die Wohnung schickt, um die baufällige Wohnung überprüfen zu lassen (lacht). Im Ernst: Diese „Ausnahme“ wird zur Regel werden, denn wann geht man denn raus? Immer nur dann, wenn das Rausgehen einem besser tut, als das drinnen zu bleiben. Und damit dient es der körperlichen oder psychischen Erholung. Punkt.

Anwalt Klaus Fuchs: „Es reicht, zu sagen, dass Ihnen zuhause die Decke auf den Kopf fällt.“

Was genau fällt unter den Punkt Betreuung von Angehörigen?
Der Punkt lautet „Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen sowie Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten“. Da tut sich die nächste Frage auf: Wer ist eine „unterstützungsbedürftige Person“? Das kann in Wahrheit jeder sein – und welcher Art der Unterstützung diese Person benötigen muss, weiß man auch nicht. Durch das Wort „sowie“ ist die familiäre Bindung bei der Hilfeleistung und/oder bei unterstützungsbedürftigen Personen nicht nötig und damit kann das jede Person sein.

Also auch Freunde oder Bekannte?
Ja. Wenn mich also jetzt ein Freund anruft, dass es ihm nicht gut geht und ich doch bitte kommen soll, um ihm zu helfen (Einkaufen, Kochen, Haushalt in Schuss bringen etc.), dann kann man das nach diesem Wortlaut darunter subsumieren – er/sie ist eine Person und weil er/sie krank ist, ist er auch unterstützungsbedürftig. Dass da die Regierung was anderes gemeint hat, liegt auf der Hand. Aber es steht halt so nicht drinnen und es ist wohl nicht zumutbar, dass jeder Bürger sich jetzt die parlamentarischen Unterlagen durchliest, um erahnen zu können, was genau gemeint ist. Eine Verordnung muss selbsterklärend sein – und das ist sie in diesem Fall absolut nicht.

Auch mit dem Hund darf man zu jeder Zeit hinaus gehen. Gibt es irgendwelche Einschränkungen, wohin und wie lange?
Nein es gibt keine Einschränkungen. Kann es auch nicht geben – jeder hat seine eigenen Rituale und Gewohnheiten beim Gassigehen. Der eine Hund hat seinen klassischen „Pinkelbaum“ gleich ums Eck, der andere braucht intensiven Auslauf in der Natur.

Ein klassisches Beispiel: Darf ich am Abend nach 20 Uhr  zu meiner Lebensgefährtin in die Wohnung fahren, auch wenn ich dort nicht gemeldet bin?
Das zu verbieten wäre wohl rechtswidrig – es kann nicht sein, dass eine Lebensgefährtin oder ein Lebensgefährte schlechter gestellt wird als Eheleute. Davon abgesehen wäre das ja auch völlig unsachlich – und damit auch rechtswidrig, zumal die Lebensgefährten sich ja meistens regelmäßig sehr nahe kommen und daher kein höheres Infektionsrisiko haben, wenn sie zum Beispiel nach 20 Uhr sexuell aktiv sind und nicht um 19.45 Uhr.

Es ist auch vom „privaten Wohnbereich“ die Rede.
Genau. Was ist das? Muss man gemeldet sein, damit es ein privater Wohnbereich ist oder genügt die faktische, die tatsächliche Nutzung von Räumlichkeiten – muss es Miete oder Eigentum sein oder kann es auch unentgeltlich sein? Ein privater Wohnbereich wird wohl ein Wohnbereich sein, an dem ich mich regelmäßig aufhalte und in welchem ich zumindest teilweise Fahrnisse nicht nur vorübergehend sondern auf unbestimmte Dauer aufbewahre (Hygieneartikel, Kleidung, Dokumente etc.). Auch dieser Begriff ist unbestimmt, unbegründet und damit sehr anfechtungsgefährdet.

Es heißt auch, man darf nur zwischen 20 und 6 Uhr die Wohnung nicht verlassen. Was ist aber, wenn ich die Wohnung um 19:50 Uhr verlasse?
Der erste Entwurf wurde nachgebessert. Jetzt ist auch das „Verweilen außerhalb des privaten Wohnbereichs“ als Einschränkung vorgesehen. Das ist schon eine merkwürdige Formulierung, zumal es logisch ist, dass ich dann, wenn ich die Wohnung verlasse, in der gleichen Sekunde automatisch auch außerhalb der Wohnung verweile – außer das schizophrene zweite „Ich“ bleibt zuhause. Das mit dem Verlassen hätte man sich also sparen können. Verbiete ich das „Verweilen außerhalb….“ muss man um spätestens 20 Uhr wieder daheim sein, außer es trifft ein Ausnahmepunkt zu. Und es wird so gut wie immer einen Ausnahmetatbestand geben. Man kann immer Spazieren gehen, Sport treiben, sich um andere kümmern, die unterstützungsbedürftig sind etc.

Welche Ungereimtheiten sehen Sie in den neuen Regelungen noch?
Es ist ein Regelwerk, das so nicht halten wird vor dem VfGH. Dazu ist es in weiten Teilen viel zu unkonkret, zu vage und auch teilweise widersprüchlich. Wenn zum Beispiel die eigene Wohnung ausgenommen wird von der Verordnung, dann aber wieder diese geregelt wird, dann stellt man sich schon die Frage, was das denn soll. Mit welcher sachlichen – also das Infektionsgesehen minimierenden – Begründung die Gastronomie geschlossen wird,obwohl es zahlreiche Auflagen gibt und in der Gastronomie nur ca. zwei Prozent der Infektionen passieren. Oder warum praktisch der gesamte Kunst- und Kulturbereich verboten wird, obwohl dort keine Infektionen nachgewiesen werden konnten, bleibt schleierhaft. Und es wird der Regierung wohl kaum der Nachweis der Verhältnismäßigkeit gelingen, was zur teilweisen Aufhebung der Verordnung wegen Verfassungswidrigkeit führen wird. 

Wie soll ich mich verhalten, falls sich beim Spazierengehen um 21 Uhr angehalten werde und eine Strafe bekomme?
Daten und Fakten aufschreiben, zu den Beamten höflich sein und fertig. Jedenfalls die Strafe nicht zahlen – weil Spazierengehen ist in jedem Fall erlaubt.

Würden Sie eine allfällige Strafe zahlen?
Kommt auf den Grund der Anhaltung und Bestrafung an – aber wenn man sicher ist, nichts falsches getan zu haben, natürlich nicht zahlen und die Strafe bekämpfen. Denn wer gleich zahlt, ist sein Geld los und hat keine Chance auf einen Einspruch mehr.

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