Georg Steiner: “Jetzt kommt die Neuerfindung des Tourismus”
Es ist wahrlich keine leichte Zeit für den weltweiten Tourismus – auch Linz spürt die fehlende Reisetätigkeit schmerzlich. Im LINZA-Talk: Der Linzer Tourismusdirektor Georg Steiner mit einem Rückblick, aber auch einen Ausblick auf die Post-Corona-Zeit.
Georg Steiner, wie ist das Befinden als Verantwortlicher eines Wirtschaftszweigs, den die Corona-Maßnahmen neben der Gastronomie so ziemlich am härtesten von allen getroffen haben?
Ich bin trotz allem ziemlich gefasst, weil die Linzer Betriebe relativ hart im Nehmen sind. Der Optimismus, dass es bald wieder aufwärts geht, ist fast überall da. Am Ende des Tages werden aber mehr Veränderungen kommen, als wir uns momentan alle noch vorstellen können.
Wie werden diese Veränderungen ausschauen?
Es geht in Richtung Individualisierung des Massentourismus. Um individualisierte Prozesse und persönlichere Angebote, um ein tieferes Eintauchen in die Stadt zu ermöglichen. In der Gruppe irgendwelche Häuser und Kulissen zu besichtigen, das wird in Zukunft in den Hintergrund rücken.
Wie geht’s der Linzer Hotellerie – sind einige Schließungen zu befürchten?
Ich glaube, dass die Linzer Hotellerie relativ stabil ist, daher rechne ich auch mit keinen Schließungen. Es kann sein, dass es bei manchen privaten Betreibern Überlegungen gibt, dass der eine oder andere seine Immobilie zu einem Büro- oder Wohngebäude umfunktioniert.
Die Nächtigungzahlen in Linz haben sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt und kratzten zuletzt sogar an der 1-Million-Grenze. Kann man jetzt akut irgend etwas machen, um die Zahlen wieder in alte Höhen zu bringen?
Nein, eigentlich nicht. Was wir aber tun, ist Veranstalter und Macher von Formaten, aber auch Hotelbetreiber zu ermutigen, weiterzumachen und diese zu unterstützen – etwa, indem wir deren Packages attraktiver machen.
Die Wander- und Skigebiete versuchen, die Saison mit heimischen Gästen zu retten. Ist das auch für Linz ein gangbarer Weg?
Ja. Wir haben uns bisher tatsächlich zu wenig um Linz und OÖ gekümmert. Oberösterreich hatte bisher schon einen starken Anteil an den Gesamt-Nächtigungen, wir reden von 104.000. Aus Wien kommen sogar 120.000 Nächtigungen. Mit 462.000 vollen Betten entfällt knapp Hälfte aller Nächtigungen bereits jetzt schon auf heimische Touristen. Die beste Entwicklung in den letzten Jahren gab’s am Heimmarkt, das ist sicher noch nicht ausgereizt.
Wie schauen die Zahlen für heuer aus? Im Vorjahr waren’s ja noch 934.944 Nächtigungen. Diese Zahl wird wohl unmöglich zu halten sein – angesichts zweier Lockdowns.
Ja, das ist unmöglich. Um die 400.000 werden es heuer werden – obwohl wir im Herbst gar nicht so schlecht unterwegs waren. Im September liegen wir bei etwa 50.000 Nächtigungen, wo wir normal auf 80.000 bis 90.000 kommen.
Bei den Programmen wird man künftig wohl auch neue Wege gehen – Stichwort kleinere Gruppen, Outdoor, Wandern?
Absolut. Wir beschildern über den Winter die Stadtwanderwege neu, in Summe werden es 13 sein. Und es wird neue Donau-Radrundwege zwischen 30 und 60 Kilometern geben. Das Outdoor-Thema kommt in allen Bereichen sehr stark. Und bei den Führungen werden die klassischen Touren zurückgehen, glaube ich. Es wird mehr um persönliche Treffs mit lokalen Menschen, Künstlern und Gastronomen gehen.
Weil in diesen Tagen wieder mal sehr viel von Digitalisierung die Rede ist: Wieviel Digitalisierung verträgt denn der Tourismus noch – Stichwort Online-Führungen und virtuelle Rundgänge in Museen?
Virtuelle Rundgänge etwa durchs Lentos wird es sicher als Einstimmung oder Anreiz weiter geben. An stundenlange gestreamte Formate oder Rundgänge, die sich der Gast runterlädt und konsumiert, glaube ich nicht, weil man da in Konkurrenz mit Top-Produzenten und Sendern wie Netflix oder Arte steht. Da reicht es nicht, eine Stunde lang nur die Kamera irgendwie draufzuhalten. Meine These lautet da eher “Vom Besichtigen zum Begegnen” – dabei geht’s ums Zusammentreffen mit echten Persönlichkeiten und Linzern – statt “nur” mit einem Guide oder Stadterklärern. Das ist auch eine große Chance für Wirte und Geschäftsleute, sich stärker zu inszenieren und zu präsentieren. “Die Menschen und nicht die Häuser machen die Stadt” … ein Zitat von Perikles, das das Thema genau trifft. Die Stadt muss über die Menschen erlebbar werden, nicht über die Häuser oder Fassaden.
Wie wird’s beim Tagungs- und Messebereich weitergehen – hier wird wohl auch einiges wegbrechen?
Ich denke, dass hier sehr vieles wiederkommt. Was sich aber ändern wird, sind Frontalvorträge und Präsentationen – die kann man sich auch zuhause anschauen. Tagungen und Messen werden vielmehr dazu genutzt werden, sich zu begegnen. Es wird menschenrechter werden mit weniger fixer Bestuhlung, aber mehr Bewegung, Stehtischen und Rausgehen. Die Abläufe werden sich verschieben, man wird sich mehr austauschen und netzwerken.
Manche meinen, in Linz fehlt’s an Attraktionen. Braucht es weitere Highlights wie die geplante Hängebrücke samt Aussichtsplattform?
Ich bin keiner, der jeden Tag nach einer neuen Attraktion schreit. Wir haben in Linz einen Mix an dezentralen Attraktionspunkten, die alle nicht im Millionenbereich liegen – und das ist gut so. Da kannibalisiert sich nichts. Von daher würde diese Hängebrücke hineinpassen. Wenn sie verwirklicht wird, ist es gut. Und wenn nicht, wird der Tourismus in Linz auch nicht zusammenbrechen. Mit den erhofften 150.000 Besuchern ist der Projektbetreiber aber sehr optimistisch unterwegs.
Extrem beschädigt ist auch der Kreuzfahrttourismus auf der Donau mit der 65+ Zielgruppe. Wie wird’s da weitergehen?
Das ist schwer abzuschätzen. Möglich, dass der eine oder andere Betreiber es nicht übersteht, wobei die meisten Schiffe über Fonds oder Geldgeber finanziert werden und dann eben von anderen weiter betrieben werden. Dass das Potenzial da ist, hat man gesehen. Das wird auch in Zukunft so sein. Die Kreuzfahrtbranche muss aber lernen, auch die sogenannten “Hidden Places” zu entdecken. Die Frage wird sein, wie kann man Ziel wie Linz individualisiert endtdecken. Das wird das große Ziel sein, daran arbeiten wir auch. Hier hat Linz große Chancen.
Sie sind noch bis 2024 Tourismusdirektor in Linz. Vom großen Ziel, der 1-Million-Nächtigungen-Grenze, kann man sich für die nächsten Jahre wohl verabschieden. Oder schielen Sie da immer noch drauf?
Ich werde auch in Pension gehen, wenn wir die eine Million Nächtigungen nicht schaffen (lacht). Das, was man nicht mehr ausradieren kann, sind die letzten zehn Jahre. Diese Zeit war für den Linzer Tourismus eine sehr positive Entwicklung. Die jetzige Phase konnte keiner voraussehen. Bei der nun folgenden Neuerfindung des Tourismus will ich aber ganz vorne mitdabei sein. Diese Individualisierung skalierbar zu machen, das wird eine ganz besondere Herausforderung.
Interview: Wilhelm Holzleitner
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