Laut der Kriminalstatistik des Innenministeriums sind von 2013 bis 2023 die angezeigten Straftaten von Jugendlichen zwischen zehn und 14 Jahren von 4.800 österreichweit auf knapp 10.000 gestiegen. Auch die angezeigten Straftaten von 14- bis 18-Jährigen sind von 24.800 auf 34.000 stark angestiegen. „Wir müssen daher bei Regelverstößen rote Linien aufzeigen und kriminelle Handlungen auch bei jugendlichen Straftätern spürbar sanktionieren, damit die staatliche Autorität nicht in Frage gestellt wird“, sagt der zuständige Jugend- und Integrationslandesrat Christian Dörfel.
„Unser Zusammenleben kann nur funktionieren, wenn es Rechte und Pflichten für den Einzelnen gibt und Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Gleichzeitig müssen wir auch Ursachen für steigende Jugendkriminalität nachvollziehen und Jugendlichen Perspektiven bieten – denn damit bringen wir sie von strafbaren Handlungen ab und erzielen eine präventive Wirkung“, so Dörfel weiter.
Auch Landespolizeidirektor Andreas Pils benennt das Problem: „Dass immer mehr Jugendliche und sogar Kinder zu teilweise intensiven Straftätern werden, nehmen auch wir als Polizei wahr. Unabhängig von unseren Bemühungen, sind uns bei allen unter-14-jährigen von vorneherein die Hände gebunden. Ich werde daher nicht müde zu fordern, dass es eine Möglichkeit braucht, die Bevölkerung vor derartigen Intensivtätern zu schützen.“
Als Ableitung aus dem Maßnahmenpaket nach den Halloween-Krawallen beauftragten das Land Oberösterreich und der Städtebund Mitte 2023 die Johannes-Kepler-Universität Linz mit der Erstellung eines Forschungsberichts zu den Ursachen, Hintergründen und Prävention des Verhaltens junger Mehrfachstraftäter. Auf dessen Basis wurden Maßnahmen im Bereich der Jugendkriminalität abgeleitet, darunter einen weiteren Ausbau der verpflichtenden Gewaltpräventions-Workshops für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, ein neues Angebot des Landes „Werte-Coaching“, die Weiterentwicklung von Jugendzentren und die Neuausrichtung der Steuerungsgruppe für ein gewaltfreies Miteinander des Landtags.
Zusätzlich fordert Dörfel auch beim Bund gesetzliche Verschärfungen für das Strafmündigkeitsalter und eine bessere Handhabe für die Polizei bei jungen Tätern, bei denen aus unterschiedlichen Gründen das Strafrecht nicht zur Anwendung kommt.
Ergebnisse der Studie: Ballungsräume als Hauptorte für Mehrfach- und Intensivtäter
Die Studie zur Jugendkriminalität wurde von Univ.-Prof. Dr. Helmut Hirtenlehner und Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer vom Institut für Strafrechtswissenschaften der JKU erstellt. Sie basiert auf Gesprächen mit 18 Experten aus Polizei, Justiz, Sozialarbeit, Bewährung und Bildung sowie insgesamt 50 Straftätern im Alter zwischen 13 und 19 Jahren. Der Großteil weist einen Migrationshintergrund auf und ist vorwiegend männlich. Regional sind die befragten Straftäter in Städten des oberösterreichischen Zentralraums wohnhaft. Zudem handelt es sich um Mehrfach- und Intensivtäter.
Die grundlegende Fragestellung der Studie ist, warum Jugendliche kriminell handeln, welche Rahmenbedingungen Straftaten begünstigen und was notwendig ist, damit jugendliche Straftäter ihr kriminelles Verhalten ablegen. Wesentliche Ergebnisse der Studie sind:
- Weniger als 5% der männlichen Jugendlichen sind für die Hälfte aller Straftaten und drei Viertel der schweren Delikte ihrer Altersgruppe verantwortlich.
- Mehrfachtäterschaft ist stärker in urbanen Ballungsräumen verbreitet. Die Umgebung spielt eine Schlüsselrolle, da städtische Gebiete häufiger soziale Probleme und Kriminalität aufweisen.
- Jugendliche Mehrfachtäter bewegen sich oft in kriminellen Freundeskreisen, die Straftaten fördern. Hier dominieren Gruppenwerte wie Respekt, Ehre und Status, die oft durch Gewalt erlangt werden.
- Besonders junge Männer mit migrantischem Hintergrund sind in der Statistik auffällig.
- Angespannte Familienverhältnisse aufgrund von der Abwesenheit des Vaters, einer größeren Geschwisteranzahl, okönomisch schwierige Situationen und defizitärer Beaufsichtigung von Erziehungsberechtigten können häufig zu
Jugendkriminalität führen. - Kriminelles Handeln wird mit hoher Loyalität und einem patriarchalischen Weltbild gerechtfertigt. Respekt wird oftmals mit Angst verwechselt.
- Zur Verteidigung der (Familien-)Ehre gilt Gewalt als legitimes Mittel.
- Durch Social Media entsteht ein hohes Mobilisierungspotenzial, das Jugendliche schnell zu gemeinschaftlichen Handlungen animieren kann, wie etwa die Halloween-Krawalle in Linz im Jahr 2022 zeigten.
Auf Basis der Studienergebnisse werden nun neue Angebote nach dem Prinzip „Pflichten betonen, Respekt einfordern“ konzipiert bzw. bestehende Maßnahmen weiterentwickelt. So werden etwa mit dem Verein NEUSTART für alle unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – in Oberösterreich derzeit in etwa 150 – verpflichtende Gewaltpräventions-Workshops und Wertekurse durchgeführt, um die Wertebasis des Zusammenlebens in Oberösterreich zu vermitteln und potenzielle Gewalttendenzen im Vorhinein zu erkennen.
Neues OÖ Werte-Coaching
Angelehnt an das erfolgreiche „Hood Training“-Konzept aus Deutschland, das Werte wie Respekt, Kameradschaft, Rücksichtnahme, Konfliktbewältigung und Selbstbewusstsein durch Sport und gemeinsame Aktivitäten vermittelt, möchte das Land Oberösterreich ein ähnliches Projekt ins Leben rufen. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen ohne sozialen Anschluss neue Perspektiven, Gemeinschaftserlebnisse und sinnvolle Freizeitgestaltung mit Tagesstruktur zu bieten und ihnen durch ein umfangreiches Freizeitangebot sinnvolle Alternativen zu destruktiven Handlungen zu eröffnen.
Digitales Streetwork & Messenger-Beratung
Die sozialen Medien sind häufig geprägt von Gruppen, die Werte wie Gewalt und Status verteidigen, ja sogar verherrlichen. Radikalisierung erfolgt zusehends im Netz via TikTok & Co. Daher sollen analoge Angebote schrittweise auch im digitalen Raum angeboten werden:
In Zusammenarbeit mit dem OÖ Familienbund werden Jugendliche durch ausgebildete Sozialpädagogen im digitalen Raum begleitet. Weitere Messenger-Angebote sollen entwickelt werden, um für Jugendliche im digitalen Raum erreichbar zu sein. Ziel ist es, den jungen Menschen auf sozialen Plattformen wie Instagram und TikTok als Anlaufstelle unterstützend zur Seite zu stehen.
Weiterentwicklung der Jugendzentren zu präventiven Anlaufstellen
Jugendzentren haben sich als wichtige Anlaufstelle für Jugendliche entwickelt, wo Freizeitgestaltung und Gemeinschaft ermöglicht wird. Ihre präventive Wirkung in der Jugendarbeit soll verstärkt werden, unter anderem durch Fortbildungen der Jugendzentrums-Leiter und Koppelung von Landesförderungen an die Vermittlung von Werten und Respekt vor Gemeinschaft und staatlichen Autoritäten.
Neuausrichtung der Steuerungsgruppe für ein gewaltfreies Miteinander
Im Jahr 2019 wurde erstmals eine Steuerungsgruppe für ein gewaltfreies Miteinander – bestehend aus Vertretern von Wissenschaft, Sozialarbeit sowie Justiz und Polizei – einberufen. Ziel dieser Gruppe ist es, das gesellschaftliche Zusammenleben zu fördern und Gewalt im Miteinander in jeglicher Form zu unterbinden. Die Steuerungsgruppe wird Ende März einberufen und soll sich nun intensiv mit den Ergebnissen der Studie beschäftigen und weiterführende Maßnahmen prüfen.




























