“Will die Welt nicht untergehen, braucht sie Verzicht als Wert”
Er ist die wohl größte Bergsteigerlegende unserer Zeit: Reinhold Messner. LINZA-CR Wilhelm Holzleitner plauderte mit dem mittlerweile 80-jährigen Südtiroler über sein Leben.
Reinhold Messner – Ihr Leben war bis jetzt voller unglaublicher Höhepunkte und Abenteuer. Gibt es Projekte und Ideen, die Sie nicht verwirklicht haben und denen Sie heute vielleicht nachtrauern?
Es gibt natürlich eine ganze Zahl von Projekten, die ich nicht verwirklicht habe oder an denen ich gescheitert bin – alleine 13mal war das bei meinen 8.000er-Besteigungen der Fall. Ich habe aber gelernt, das Richtige zum besten Zeitpunkt zu tun. Ich habe in Summe mehr erreicht, als das, was ich mir als junger Mann gewünscht oder vorgestellt habe.
Gibt es angesichts der Fülle an erlebten Abenteuern noch etwas, das Sie gerne noch vollbringen wollen?
Ich habe nochmals eine völlig neue Idee entwickelt, die ich versuche, umzusetzen. Diese wird meine Energie und meine Kreativität zur Gänze fordern.
Worum geht es da genau?
Der Titel lautet „Final Expedition“ – eine letzte Expedition rund um die Welt. Nicht die Gipfel stehen dabei im Fokus, sondern mein Publikum. Ich nehme das Narrativ des traditionellen Alpinismus in die Hand und erzähle darüber. Hallenklettern oder der Pistenalpinismus sind in Ordnung, haben damit aber absolut nichts zu tun. Ich will dieses Thema den jungen Menschen zumindest als Vision weitergeben. Mir geht es darin um das Erbe des traditionellen Bergsteigens, das ich um die Welt tragen will. Zusätzlich will ich damit genügend Mittel lukrieren, um in Nepal, im Kaukasus und in der Hohen Tatra Museen zu gestalten, die die lokalen Berge und die dortige Bergsteigerei zum Inhalt haben.
Jetzt blicken Sie auf ein großartiges Leben zurück. Die ganz großen Touren und Abenteuer – gehen die Ihnen jetzt im Alter ab?
Ich habe damit interessanterweise überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Das Projekt, dass ich meine Geschichte und die 250-jährige Entwicklung des Alpinismus auf die Bühne bringe und als Haltung weitergebe, erfüllt mich zu hundert Prozent.
Echten Bergsteigern wird oft auch nachgesagt, sie würden vor etwas flüchten oder davonlaufen. Wie war das damals mit dem jungen Reinhold Messner?
Ich bin bereits als 5-Jähriger in die Berge gekommen, als ich meinen ersten 3.000er bestiegen habe. Geprägt haben mich dann mit 13, 14 Jahren die enormen Freiräume, die ich mit meinem jüngeren Bruder erfuhr, als wir in Eigenverantwortung und ohne Einschränkungen in die Berge gingen. In dieser Zeit entstand das ‚Know How‘ zum Abenteuer. Bergsteiger sind Abenteurer und keine Sportler.
Wie geht es Ihrem Körper und Ihrer Gesundheit nach diesem bewegten Leben?
Mir geht es relativ gut, es gibt keinen Grund zu jammern. Ich habe im Vergleich zu anderen das Glück gehabt, zu überleben. Viele starben am Berg, obwohl sie zu den Besten der Welt gehörten. Ich habe damit auch die Verpflichtung, etwas weiterzugeben, darum auch das Projekt der ‚Final Expedition‘, das ich um die Welt trage.
Klettern ist mittlerweile olympisch. Wertet es das Bergsteigen auf?
Die Bewerbe finden auf einer 15 Meter hohen Plastikwand statt, das ist kein Alpinismus, sondern Sport. Schon heute klettern die meisten Menschen in der Halle, alleine in Tokio gibt es 800 Kletterhallen – ein großartiger Sport, hat aber mit dem traditionellen Bergsteigen nichts zu tun. Auch auf den großen Bergen werden immer mehr Pisten- und Massen-Klettersteige installiert – das ist Tourismus, nicht Alpinismus. Das Hinausgehen in Eigenregie und in absoluter Eigenverantwortung in die Natur darf daneben nicht verlorengehen.
Was würde ein junger Reinhold Messer heute tun, nachdem in der Alpinistik alles schon erreicht und durchgeführt wurde, was machbar ist?
Ich habe das große Glück, das nicht entscheiden zu müssen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ich mir die letzten wilden Räume dieser Welt suche, wo es selbst heute noch unzählige Gipfel gibt, die unbestiegen sind. Es gibt auch noch viele Herausforderungen, die noch nicht möglich sind, weil sie zu hoch, zu schwer oder zu gefährlich sind.
Wie geht es Ihnen denn mit dem komplett ausufernden Massentourismus, der Konsumgesellschaft und dem Handy-Irrsinn?
Ich habe damals den Verzichts-Alpinismus geprägt – Verzicht auf künstlichen Sauerstoff, auf Sherpas, auf Hochlager – ich habe das bis zur Grenze des Möglichen getrieben. Heute wird Bergsteigen ‚konsumiert‘. Sie können in einem Reisebüro eine komplette Tour mit allem buchen – inklusive Führung, Betreuung im Basislager und Ärzten im Hochlager. Will die Welt nicht untergehen, braucht sie Verzicht als Wert. Genau darum hat das klassische Bergsteigen eine Vorbild-Wirkung für die Zukunft.
Der fortschreitende Klimawandel ist in aller Munde, auch Sie haben sich schon öfters darüber geäußert. Was ist Ihr Szenario: Ist die Welt noch zu retten?
Wir haben uns zweifellos anders zu verhalten, als wir das im vergangenen Jahrhundert getan haben. Die Frage ist nur, ob wir dazu in der Lage sind und ob die Politik es überhaupt kann. Auch wenn Greta noch so schimpft: So einfach ist das alles leider nicht, unser Leben mit weniger Umweltbelastung zu leben. Ich bin mir sicher, dass es in zehn Jahren mehr CO2 auf der Welt gibt als jetzt. Die Forscher und Technologen werden die richtigen Lösungen finden, wenn man sie lässt. Momentan wird in der Politik so schnell und oft ohne Hintergrund entschieden. Dabei ist das Ganze viel komplexer, als wir wissen. Ich bin überzeugt, dass niemand auf der Welt diese Klimaveränderung tatsächlich bis zur letzten Konsequenz durchschaut. Wir Menschen haben einen wesentlichen Einfluss, aber nicht allein. Auch die Sonne, die Sonnenflecken, die Stellung der Erdachse spielen mit. Eiszeiten sind gegangen und gekommen, diese Rhythmen sind beschleunigt worden, weil wir mit unserem Konsum dazu beitragen.
Lässt sich der Klimawandel kurz- oder mittelfristig aufhalten?
Wenn wir glauben, wir können ihn so ruck-zuck in zehn oder 20 Jahren wieder rückgängig machen, haben wir von der Dimension der Erderwärmung, der Meerverschmutzung durch das Plastik und der Intensität der Erderwärmung nichts verstanden. Die Natur ist so großartig, sie hat bisher sogar den Menschen ertragen. Wir waren bis vor kurzem völlig kopflos und wussten gar nicht, was vor sich geht. Dann wurde die Problematik hysterisch diskutiert, nicht sachlich.
Sie waren auch politisch aktiv und saßen für die italienischen Grünen fünf Jahre im europäischen Parlament. Wie war diese Zeit für Sie: ernüchternd oder lehrreich?
Ich bin ein begeisterter Europäer, für uns Südtiroler ist die EU die einzige Chance, aus unserer Situation zwischen den Stühlen herauszukommen. Ich habe in Brüssel als Hinterbänkler viel gelernt und viele interessante Kontakte geschlossen. Leider sind die italienischen Grünen derzeit sehr schwach. Begeistert bin ich von den deutschen, aber auch den österreichischen Grünen.
Als Südtiroler werden Sie auch zumindest ein wenig vom nördlichen Nachbarn vereinnahmt. Fühlen Sie sich auch ein bisschen als Österreicher – oder zumindest als Tiroler, das ja bekanntlich „lei oans isch“?
Als Südtiroler bin ich natürlich auch ein Tiroler, ich habe zu Tirol eine enge Beziehung, einerseits zum Landeshauptmann Platter, den ich sehr schätze. Andererseits durch meine großen Touren, die ich gemeinsam mit Tiroler Bergsteigern wie Wolfi Nairz und Peter Habeler unternommen habe. Ich habe zudem Verwandte in Österreich und kenne das Land relativ gut. Ich bin allerdings der Meinung, dass wir nicht unbedingt einen österreichischen Pass brauchen – mir würde ein europäischer reichen, der hoffentlich irgendwann kommen wird. Für mich ist es nicht die Zugehörigkeit zu einem Staat, die zählt. Wir Südtiroler und unsere Politiker wie Mangago, Durnwalder oder Kompatscher haben eine Südtiroler Autonomie erarbeitet, die wir nicht schwächen sollten, indem wir um einen österreichischen Pass herumstreiten. Wir kommen aus der Habsburger Monarchie und die gab‘s 1919 nicht mehr, als man uns zu Italien schlug. Für unsere Großväter war es zwischen 1920 und 1945 eine schlimme Zeit, aber inzwischen ist es für uns ein Vorteil, dass man uns gezwungen hat, Italienisch zu lernen und auf die eigenen Beine zu kommen. Wir waren in den 1950er-Jahren das ärmste Stück von Italien, heute sind wir – auch dank Österreich – das reichste. Wir haben es erkämpft.
Weitere Infos: www.reinhold-messner.de
Foto Header: Ptolusque, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
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