“In einer Demokratie ist es das Normalste überhaupt, dass es auch Kritik gibt”
Zuletzt hagelte es massiv Kritik für Gesundheitsminister Rudi Anschober, weil einige Verordnungen und deren Umsetzung von inhaltlichen und grammatikalischen Fehlern strotzten. Mittlerweile gibt es sogar mehrere Rücktrittsaufforderungen für den engagierten Minister, der aber trotz Gegenwind die Ruhe in Person bleibt. Wilhelm Holzleitner traf Anschober im Linzer Schlosscafe und plauderte über das Corona-Virus, Zugfahren und McDonalds-Besuche.
Herr Minister, als „Gscherter“ hat man es nicht leicht in Wien. Wie ist es Ihnen ergangen seit dem Wechsel in die Bundeshauptstadt?
In jeder Hinsicht absolut positiv. Die Bevölkerung ist extrem freundlich und aufgeschlossen – egal ob in Oberösterreich oder in Wien. Das hat natürlich auch sehr viel mit der akuten Krise und der schwersten Pandemie seit 100 Jahren zu tun. Das ist so ziemlich die schwierigste Situation, die man in einer Regierung haben kann.
Und wie wohl fühlen Sie sich persönlich bzw. privat in Wien?
Also ich komme nicht wirklich dazu, Wien kennenzulernen, weil mein Arbeitstag zwischen 16 und 18 Stunden hat. Und wenn es irgendwie geht, dann verbringe ich den fix eingeplanten ‚Nicht-Büro-Tag‘ zuhause in Oberösterreich.
Sie wurden von der Öffentlichkeit bislang wohlwollend aufgenommen – trotz nicht immer guter Nachrichten. Fällt das noch unter den einjährigen Welpenschutz als neuer Minister oder machen Sie Ihrer Meinung nach gute Arbeit?
Jeder von uns macht Fehler, gerade in einer Krisensituation, wie wir sie noch nie erlebt haben. Ich versuche zu jedem Zeitpunkt, eine ehrliche Politik zu machen, authentisch zu bleiben, nicht herumzulavieren und auch zu Fehlern zu stehen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es in Österreich ganz stark die Sehnsucht nach einer ehrlichen Politik gibt, nach einer guten Teamarbeit. Und ich muss auch sagen: Die beiden Regierungspartner sind besser zusammengewachsen, als ich mir das je gedacht habe – da hat auch die Krise sicher ihren Beitrag dazu geleistet. Ich glaube, wir haben Österreich bisher mit ruhiger Hand sehr gut durch die Krise gebracht und ich hoffe, dass uns das auch weiterhin gut gelingen wird.
Stichwort Corona: Im Mai hieß es, er wäre der Monat der Entscheidung, dann war der Juni entscheidend, jetzt ist laut Ihren Worten der Herbst die große Hürde. Wieviele Hürden kommen denn noch?
Für uns war die erste große Phase im März/April, wo wir Tage mit Steigerungen bei den Infektionsraten von 40 bis 50 Prozent hatten. Da war die ganz große Herausforderung, dieses exponentielle Wachstum nach unten zu drücken, das ist auch ganz gut gelungen. Phase zwei war dann jene der Öffnungsschritte. Jetzt sind wir in der dritten Phase, der Stabilisierung. Hier versuchen wir ein Wachstum der Zahl der Infektionen zu verhindern und stabil zu bleiben. Und dann folgt die vierte Phase, die besonders gefährlich ist, weil die Leute ein bisschen müde und schlampig werden, was die Einhaltung der Maßnahmen betrifft. Im Herbst sind wir wieder vermehrt in geschlossenen Räumen. Das heißt: Wir müssen uns wieder mehr zusammenreißen und die Verantwortung übernehmen bis in den März 2021 hinein.
Und dann?
Meine Hoffnung ist, dass wir die Impfung bis Ende des ersten Quartals 2021 bekommen und dann sehr viele die Chance zur Impfung nutzen.
Und wenn es keine halbwegs wirkungsvolle Impfung gibt: Wie schaut der Plan B aus?
Dann müssen wir aggressiver gegen das Virus vorgehen und noch stärkere Maßnahmen realisieren. Das heißt, die eine oder andere Lockerung nochmals neu diskutieren – zum Beispiel Großveranstaltungen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir 2021 nicht nur einen, sondern sogar mehrere Impfstoffe haben werden. Das würde es uns auch leichter machen, schließlich braucht es dann in kürzester Zeit hunderte Millionen an Impfdosen.
Was schwebt Ihnen vor: Wird die Impfung kostenlos sein oder müssen die Menschen zahlen?
Die Kosten dürfen für die Bevölkerung keine Barriere sein – also gratis oder so niedrig, dass niemand sagen kann ‚Ich kann mir das nicht leisten‘. Was wir aber natürlich noch nicht wissen: Wie lange hält diese Immunisierung an? Da gibt es mehrere unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse.
Wird es eine Impfpflicht geben?
Nein, weil ich persönlich glaube, dass wir vernunftbegabte Menschen sind, zudem ist Impfen eine sehr persönliche Entscheidung. Zwingen kann man aus meiner Sicht ohnehin niemanden. Wichtig ist, dass die große Mehrheit der Bevölkerung mitmacht, dann erreichen wir den Herdenschutz.
Und wie halten Sie es persönlich?
Ich selbst werde mich zu hundert Prozent impfen lassen. Ich bin auch Grippe geimpft.
Sie haben vorhin mögliche neuere Verschärfungen angesprochen: In NRW und Berlin sitzen Schüler, egal bei welcher Hitze, jetzt mit Maske im Klassenzimmer. Können Sie so eine Maßnahme für Österreich ausschließen?
Ja. Der Bildungsminister und ich wollen einen möglichst normalen Schulalltag. Zusätzlich haben wir ab Schulbeginn die Corona-Ampel mit einer wöchentlichen Ampelschaltung im Regelbetrieb. Daran gebunden sind Veränderungen bei den diversen Maßnahmen möglich.
Viele Eltern befürchten wieder möglicherweise vorschnelle Schulschließungen.
Schulschließungen sind aus meiner Sicht das Allerletzte. Offene Schulen brauchen die Kinder, die Gesellschaft und natürlich auch die Eltern. Eine Situation, wie wir sie beim Lockdown hatten, ist ganz offen gesagt nicht lange aufrecht erhaltbar. Ich glaube auch, dass wir so drastische Maßnahmen nicht mehr brauchen.
Seit Mitte Mai gab es österreichweit maximal 28 Intensiv-Spitalspatienten, dennoch reden wir ständig von Verschärfungen und noch mehr Vorsicht.
Es ist ein ständiger Prozess des Nachjustierens von Maßnahmen – je nachdem, wie sich die Pandemie konkret entwickelt. Immer dann, wenn mir die Zahlen signalisieren, dass eine Steigerung daherkommt, muss ich nachjustieren – und das möglichst vorausschauend, damit ich schneller bin als das Virus. Das ist oft schwer verständlich, wenn die Zahlen gut sind, dass man gerade in so einer Situation zu zusätzlichen Maßnahmen greift.
,Schön wäre wenn Sie endlich zur Zufriedenheit vieler Österreicher freiwillig von der Politik zurück treten und wieder Kinder in der Volksschule betreuen!‘ – wie geht’s Ihnen, wenn Sie so ein Posting oder andere Untergriffe wie ,Rudi Angstschober‘ auf Ihrer Facebook-Seite lesen?
In einer Demokratie ist es das Normalste überhaupt, dass es auch Kritik gibt. Mit den erwähnten Formulierungen kann ich gut umgehen, die überwiegende Mehrheit ist zudem sehr positiv eingestellt.
So viele Aufgaben hätten im Gesundheitsbereich auf Sie gewartet, aber es gibt nur ein dominierendes Thema: Corona. Blieb von Ihrer Agenda bislang vieles andere auf der Strecke?
Ja, denn man kann nicht alles gleichzeitig machen. Wir mussten einige große Projekte verschieben, das wichtigste und größte davon ist die Pflegereform. Bis Jahresende sollen die inhaltlichen Eckpfeiler aber stehen, ab 2021 gehen wir in die Umsetzung. Wir brauchen in der Pflege 80.000 neue Kräfte bis ins Jahr 2030, das zeigt schon die Dimension der Herausforderung.
Wie soll sich das finanziell alles ausgehen? Quer durch alle Ressorts wird es enorme Einsparungen geben müssen – angesichts der Einnahmen-Ausgaben-Entwicklung rund um die Corona-Krise.
Ich bin überzeugt, dass jene Bereiche, wo es um die einzelnen Menschen geht und um die Menschenwürde, die letzten sind, wo man sparen sollte.
Fast denselben Satz sagen auch Ihre Kollegen aus der Infrastruktur, aus dem Wohnbau, aus der Kultur und und und…
Ja stimmt, aber genau das ist der Punkt: Wir müssen so investieren, dass daraus wieder Arbeitsplätze und Wirtschaftsleistung entstehen und die Investitionen zurückkommen.
Bei Oberösterreichs Grünen gab es mit Ihrem Nachfolger Stefan Kaineder einen Generationenwechsel. Verfolgen Sie noch das Geschehen hier, wie gut hat sich Kaineder bislang bewährt?
Super! Der Stefan ist eine ganz große politische Hoffnung der Grünen – und das nicht nur auf oberösterreichischer Ebene, sondern bundesweit. Mit ihm haben die Grünen alle Chancen, 2021 in Oberösterreich ein sehr gutes Ergebnis einzufahren.
Wird man Sie im Sommer 2021 in OÖ wahlkämpfen sehen – oder gibt es keine ,Einmischung‘ aus Wien?
Die Grünen sind in Oberösterreich mit Stefan Kaineder sehr gut aufgestellt. Wenn ich irgendwo gebraucht werde oder mithelfen kann, stehe ich sehr gerne zur Verfügung, keine Frage. Aber eine Wahl wird nicht durch eine Persönlichkeit, die von woanders kommt, entschieden, sondern immer durch die jeweiligen Spitzenkandidaten.
Gibt‘s schon ein Wahlziel für Oberösterreich?
Ja – eine schwarz-grüne Regierungskoalition, wie wir sie bereits einmal sehr erfolgreich hatten.
Sie sind jetzt 59 Jahre alt, heuer im November folgt der 60er. Was hat Rudi Anschober noch politisch vor: Geht über Minister noch was?
Ich habe keine Übermotivation, extra zu punkten, weil ich in der Politik nichts mehr erreichen muss. Es entspannt schon sehr, wenn man weiß, dass man nichts mehr anstrebt in der Politik.
Das Thema Stress und Überarbeitung hat in Ihrem Leben vor ein paar Jahren mit dem Burnout-Syndrom einen starken Einschnitt in Ihr Leben gebracht. Wie gehen Sie heute damit um?
lch weiß, wie ich funktioniere, dazu gehören ein paar Grundmechanismen – etwa ein Tag, an dem ich keine externen Termine habe. Das habe ich mir damals bei meiner Erkrankung vor acht Jahren fest vorgenommen und das lebe ich jetzt auch konsequent. Diese Zeit nutze ich u.a. dazu, um meine Gedanken zu sortieren und zu planen. Ich bin ein Mensch, der sehr gerne rausgeht, wandern, laufen, am besten mit den Hund. Im normalen Arbeitsalltag ist man viel zu oft ein von Terminen Gesteuerter und Getriebener.
Mit dem Gang nach Wien und der Übernahme des Minister-Jobs haben Sie nochmal einen Gang raufgeschaltet. Wie gefährdet sind Sie, in Sachen Stress und Belastung wieder in alte Muster zurückzufallen?
Diese Gefahr besteht bei jedem Menschen und kann niemand zu 100 Prozent ausschalten. Ich habe in gewissen Sinn den Vorteil, dass ich aus meiner Erkrankung vor acht Jahren gelernt habe und ich ziemlich genau in mich hineinhören kann. Ich weiß, was mir guttut, wo ich meine Energie herbekomme, was ich brauche, um die nötige Kraft zu haben.
Sie fahren mehrmals in der Woche abends mit dem Zug aus Wien heim nach Steyregg und sitzen frühmorgens wieder im Waggon in die Gegenrichtung. Klingt ein bisschen stressig.
Nein, im Gegenteil. Zugfahren ist kein Stress, ich liebe Zugfahren. Eine hervorragende Zeit zum Arbeiten, Planen und vorbereiten. Und zuhause sein bedeutet auch Lebensqualität.
Was machen Sie als Gesundheitsminister persönlich an Unvernünftigem, was Sie eigentlich besser sein lassen sollten?
Ich laufe im Augenblick zu wenig, möchte drei bis vier Kilo wegbekommen, weil mir das guttun würde. Das zweite ist, dass mir derzeit das regelmäßig, bewusste Essen fehlt, da muss ich in der Planung noch ein bisschen besser werden.
Könnte man einen Rudi Anschober auch mal bei einem ,heimlichen‘ Besuch bei McDonalds ertappen?
(Lacht) Ich bin offen gesagt kein Fan dieser Art von Küche. Ich bin aber auch der Allerletzte, der mit erhobenem Zeigefinger dasteht. Jeder von uns muss doch die Freiheit haben, sich so zu ernähren, wie er will. Ich habe auch oft Situationen, wo ich einen Heißhunger auf irgend etwas Spezielles habe und ich weiß nicht, warum. Der Kopf sagt dazu Nein, aber der Bauch sieht das eben anders.
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