Jeder von uns fühlt sich in seiner Existenz bedroht, wenn die Schulden überhand nehmen. Aber es gibt mittlerweile kaum noch Länder, die nicht in Krediten versinken. Und dennoch machen sich Staaten oder Kommunen kaum ernstliche Sorgen. Warum das so ist, erklärt der Linzer Universitätsprofessor Friedrich Schneider im Talk.
Deutschland hat mittlerweile 2,2 Billiarden Euro Schulden, Österreich 291 Milliarden. Graz und Linz sind ebenfalls bereits im Klub der „Schuldenmilliardäre“. Ob und wie das Ganze zurückgezahlt wird, weiß keiner so genau. Dass es aber funktionieren kann, beweist die Bayern-Metropole München, die ihren Schuldenhöchststand von 3,4 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf heute nur noch 815 Millionen reduziert hat. Alleine heuer tilgt München 90 Millionen Euro. Linz ist unter den heimischen Landeshauptstädten mittlerweile die absolute Nummer Eins, wenn‘s um Schulden geht, auch 2015 steigen die offenen Kredite weiter an.
Der Linzer Universitätsprofessor Friedrich Schneider ist Vorstand des Forschungsinstitutes für Bankwesen. Wir haben all die Fragen gestellt, die jedem Normalbürger angesichts dieser besorgniserregenden Zahlen durch den Kopf schwirren.
Herr Dr. Schneider, kann Linz überhaupt seine milliardenhohen Schulden zurückzahlen?
Ob die Schulden von der Stadt irgendwann zurückgezahlt werden können, ist nicht die eigentliche Frage. Die Frage ist, ob Linz seine Schulden „bedienen“ kann und warum die Schulden gemacht wurden. Wird der Großteil der Schulden für investive Aufgaben (Bau von Straßen, Einrichtungen wie Altersheime, etc) verwendet und erwirtschaften diese dann auch laufend Erträge, macht das durchaus Sinn und kann langsam auf Grund der Erträge zurückgezahlt werden. Der Stadt Linz sollte es in jedem Fall möglich sein, sowohl Zinsen als auch Schulden zurückzuzahlen.
Warum vergeben Banken überhaupt Kredite an Kommunen oder Länder, wenn diese sowieso bereits schwer verschuldet sind und eine Rückzahlung alles andere als wahrscheinlich ist?
Banken vergeben Kredite an Kommunen oder Länder, da diese – zumindest in Österreich – sehr häufig die höchste Bonität haben, extrem verlässliche Zahler sind und es damit ein gutes Geschäft ist, einer öffentlichen Institution Kredite in diesem Umfang zu gewähren.
Die Frage ist wahrscheinlich laienhaft, aber: Warum schreiben Städte ihre Schulden nicht einfach ab?
Wenn Staaten oder Kommunen ihre Schulden abschreiben, bedeutet das de facto eine Enteignung und das eindeutige Signal, diese Schulden nicht zurückzuzahlen. In einem nationalen Krisenfall, etwa bei Naturkatastrophen oder anderen Fällen, kann dies geschehen. Aber das Vertrauen in die Institutionen ist damit auf Jahre zerstört und man wird es sehr schwer haben, zukünftig Kredite aufzunehmen. Daher ist die Abschreibung von Schulden keine realistische Möglichkeit.
Der Volksmund sagt „Irgendwann kracht‘s sowieso und alle Schulden sind eh weg“ – wie stehen Sie zu dieser Theorie?
Ein großer internationaler Crash ist theoretisch denkbar, aber nicht realistisch. 2008/09 standen wir kurz davor, aber durch die besonnene Reaktion der Regierungen der meisten Industriestaaten konnte er verhindert werden. Krachen kann es immer; dass dies global auf internationaler Ebene passiert, ist extrem unwahrscheinlich, da wir heute Regierungen und Institutionen haben, die im Vorfeld die richtigen Maßnahmen setzen können, um den großen Crash zu verhindern.
Oft ist auch von einem Schuldenschnitt aller Länder die Rede. Was ist das genau – und ist so etwas überhaupt realistisch?
Ein Schuldenschnitt bedeutet, dass die Gläubiger freiwillig (oder zum Teil unfreiwillig auf Druck) auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten und somit einem Land kreditmäßig Luft zum Atmen verschaffen. Dies kann dann sinnvoll sein, wenn ich auf 20-30 Prozent meines Kreditversicherers verzichte und ich sicher weiß, dass ich dann die restlichen 60-80 Prozent und die Zinsen daraus erhalte.
„Mithilfe von Teilprivatisierungen
könnten Schulden abgesenkt werden.“
Man hört immer wieder, unser Finanzsystem lebt vom System der Neuverschuldung. Können Sie das genauer erklären?
Unser Finanzsystem lebt davon, dass Kredite vergeben und Guthaben „gegeben“ werden. Mit beidem kann man Geld verdienen. Geschäftsbanken sind wichtige Dienstleister, die in unserer Volkswirtschaft entscheidend sind, um den Wirtschaftsprozess am Leben zu halten. Nur dadurch kann unser Wirtschaftssystem den hohen Wohlstand erhalten.
Realistisch gesehen gibt es also gar keinen Ausweg aus diesem System des Schuldenmachens bzw. aus den Schuldenbergen der Kommunen und Staaten?
Ein realistischer Ausweg aus diesem System wäre, dass Länder und Kommunen zumindest so weit kommen, dass sie ihre laufenden Ausgaben aus den laufenden Einnahmen (Steuer und Gebühren) bzw. den öffentlichen Etats bestreiten können. Mithilfe von Teil-Privatisierungen könnten dann auch die Schulden abgesenkt werden. Es müssten dann nur noch Schulden für investive Projekte gemacht werden, wo es absolut Sinn macht, da diesen langfristige Erträge gegenüberstehen.
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